StP 34 Nr. 14 Einkauf Beitragsjahre in die berufliche Vorsorge und Kapitalbezug
1. Allgemeines
Artikel 79b Absatz 3 Satz 1 BVG ist zwar eine primär vorsorgerechtliche Norm, beruht aber klar auf steuerrechtlichen Motiven. Wird ein Einkauf von Beitragsjahren vorgenommen, können gemäss dieser Bestimmung die daraus resultierenden Leistungen innerhalb der nächsten 3 Jahre nicht in Kapitalform aus der Vorsorge zurückgezogen werden. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht nicht eindeutig hervor, ob sie bei einem Einkauf von Beitragsjahren den Kapitalbezug innerhalb der nächsten drei Jahre vollständig ausschliesst. Daher muss die Bestimmung unter Berücksichtigung weiterer Auslegungselemente wie Entstehungsgeschichte, Wortlaut und Systematik interpretiert werden.
Die parlamentarischen Beratungen lassen unmissverständlich erkennen, dass mit Artikel 79b Absatz 3 BVG die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Verweigerung der Abzugsberechtigung wegen Steuerumgehung im Sinne einer einheitlichen und verbindlichen Gesetzesregelung übernommen und konkretisiert werden soll. Sinn und Zweck der Bestimmung ist die Vermeidung einer gezielt vorübergehenden, rein steuerlich motivierten Platzierung von Geldern in der 2. Säule; mithin die Unterbindung des Missbrauchs der 2. Säule als Kontokorrent. Die Bestimmung soll zumindest nicht weniger verhindern, als die bisherige Praxis des Bundesgerichts.
Das mit dem Einkauf in die Vorsorgeeinrichtung einbezahlte Geld bleibt nicht ausgesondert. Leistungen aus der Vorsorgeeinrichtung werden mithin nicht aus bestimmten Mitteln, sondern aus dem Vorsorgekapital der versicherten Person insgesamt finanziert. Das im Zeitpunkt des Einkaufs bereits vorhandene Alterskapital fällt somit ebenfalls unter die dreijährige Sperrfrist. Daher ist kein Teilkapitalbezug im Rahmen des bereits vorhandenen Altersguthabens möglich. Diese Auffassung wird durch die aktuelle bundesgerichtliche Rechtsprechung gestützt.
2. Kapitalbezug innerhalb der 3-Jahresfrist
Ein Kapitalbezug innerhalb von drei Jahren seit dem Einkauf von Beitragsjahren wird als gezielt vorübergehende, rein steuerlich motivierte Platzierung von Geldern in der 2. Säule angesehen. Ein solcher Einkauf ist mit Artikel 79b Absatz 3 Satz 1 BVG nicht konform, weshalb dieser steuerlich nicht abzugsfähig ist.
Die dreijährige Sperrfrist gilt auch für den umgekehrten Fall, d.h. bei einem Kapitalbezug mit anschliessendem (Wieder-)Einkauf innerhalb von drei Jahren. Für die Anwendung von Artikel 79b Absatz 3 BVG spielt es somit keine Rolle, in welcher Reihenfolge Kapitalbezug und Kapitaleinzahlung erfolgen.
Die verobjektivierte dreijährige Sperrfrist gilt ungeachtet des Auszahlungsgrundes, also für Kapitalbezüge von Altersleistungen oder Austrittsleistungen infolge Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder Wegzug ins Ausland sowie für Vorbezüge zur Wohneigentumsförderung (WEF). Ebenso unbeachtlich ist, ob die Absicht der Kapitalauszahlung im Zeitpunkt der Einzahlung bekannt war oder nicht. Die Frist beginnt vom Tag des Einkaufs der Beitragsjahre an zu laufen.
Von der Dreijahresfrist ausgenommen sind Wiedereinkäufe im Falle der Ehescheidung oder Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft (Art. 79b Abs. 4 BVG) sowie Kapitalleistungen der zweiten Säule, welche im Invaliditäts- oder Todesfall erfolgen. Die Prüfung eines Missbrauchs im Sinne einer Steuerumgehung bleibt vorbehalten.
Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung legt der Wortlaut der deutschen Fassung von Artikel 79b Absatz 3 Satz 1 BVG nahe, dass nur der Rückzug von Leistungen aus der Vorsorge, mithin also der Geldfluss an den Versicherten, innerhalb der Dreijahresfrist unzulässig ist und steuerrechtlich zur (Nach-)Besteuerung des Einkaufs führt. Noch deutlicher kommt dies in den romanischen Fassungen zum Ausdruck, deren Wortlaut (versées; versate) insofern als klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, bezeichnet werden muss (BGer 2C_534/2020, E. 3.2.1). Für die Beurteilung, ob die Sperrfrist gemäss Artikel 79b Absatz 3 BVG verletzt worden ist, ist daher konsequent auf das Auszahlungsdatum der Kapitalleistung abzustellen. Dabei bleibt eine abweichende steuerliche Beurteilung aufgrund der Annahme einer Steuerumgehung aber auch gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausdrücklich vorbehalten: "Eine Rechtsgestaltung im Zusammenhang mit einem Einkauf in die 2. Säule kann sich aus anderen Gründen als alleine der zeitlichen Nähe zwischen Einkauf und Kapitalauszahlung als missbräuchlich erweisen. Sie fällt dann grundsätzlich nicht unter den Tatbestand von Artikel 79b Absatz 3 Satz 1 BVG, möglicherweise aber unter jenen der Steuerumgehung (BGE 142 II 399 E. 4.1 S. 407 f.; Urteil 2C_652/2018 vom 14. Mai 2020 E. 4.1.2, in: StE 2020 B 27.1 Nr. 61, SVR 2020 BVG Nr. 34 S. 143).
Der Tatbestand der Steuerumgehung ist auch zu prüfen, wenn ein Steuerpflichtiger einen Einkauf in die 2. Säule tätigt, nur um sich anschliessend dem Anwendungsbereich der verobjektivierten Missbrauchsvorschrift von Artikel 79b Absatz 3 Satz 1 BVG auf absonderliche, vom Gesetzgeber nicht vorhergesehene Weise zu entziehen und sich so die steuerliche Abziehbarkeit des Einkaufs zu sichern (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation bezüglich der Missbrauchsvorschrift von Art. 20a Abs. 2 DBG Urteil 2C_168/2017 vom 26. Oktober 2017 E. 2.4 und 4, in: StR 73/2018 S. 148, StE 2018 A 12 Nr. 27). So könnte es sich etwa verhalten, wenn eine steuerpflichtige Person nach getätigtem Einkauf die Auszahlung einer fälligen Kapitalleistung künstlich verzögert, um auf diesem Weg die Dreijahresfrist für die Auszahlung von Artikel 79b Absatz 3 Satz 1 BVG zu erfüllen, ohne dass für diese Verzögerung andere als blosse Steuerersparnisgründe eine relevante Rolle spielen. In diesem Fall hätte die Steuerbehörde ihrer Beurteilung praxisgemäss diejenige Rechtsgestaltung zugrunde zu legen, die sachgerecht gewesen wäre, um den angestrebten wirtschaftlichen Zweck zu erreichen (vgl. oben E. 4.1), namentlich also die Auszahlung der Kapitalleistung am oder allenfalls kurze Zeit nach dem Fälligkeitszeitpunkt." (BGer 2C_534/2020, E. 4.2).
Liegen in einem Fall konkrete Anhaltspunkte vor, welche darauf hindeuten, dass bei einer innert der dreijährigen Sperrfrist fällig gewordenen Kapitalleistung die Auszahlung künstlich und nur aus Gründen der Steuerersparnis hinausgeschoben worden ist, ist in diesem spezifischen Kontext der Tatbestand der Steuerumgehung erfüllt, weshalb die Abzugsberechtigung von in die Sperrfrist fallenden Einkaufsbeiträgen entfällt.
3. Einkauf in eine Vorsorgeeinrichtung und Kapitalbezug aus einer anderen
Gehört eine steuerpflichtige Person mehreren Vorsorgeeinrichtungen der zweiten Säule an, ist bei einem BVG-Einkauf in die eine Einrichtung und einem Kapitalbezug innert der Dreijahresfrist aus der anderen Einrichtung eine konsolidierte Betrachtungsweise der beruflichen Vorsorge anzuwenden.
Es ist mit dem Gleichbehandlungs- und dem Leistungsfähigkeitsprinzip kaum vereinbar, wenn einem BVG-Versicherten mit Zugang zu mehreren Vorsorgeeinrichtungen, das mit erheblichen Steuerersparnissen verbundene Verschieben von Geldern in die 2. Säule und deren Rückführung innert kurzer Frist möglich sein sollte, während dasselbe Vorgehen den übrigen Versicherten verwehrt bliebe (BGE 2C_488/2014 vom 15.01.2015).
4. Kapitalbezug mit anschliessendem Einkauf
4.1. Bezug für Wohneigentumsförderung
Mit Artikel 79b Absatz 3 Satz 2 BVG wurde der Kapitalbezug für Wohneigentumsförderung mit anschliessendem Einkauf geregelt. Demnach darf ein Einkauf von Beitragsjahren erst vorgenommen werden, wenn allfällig früher getätigte Vorbezüge für die Wohneigentumsförderung aus der 2. Säule zurückbezahlt worden sind. Aus dieser Bestimmung lässt sich nicht ableiten, dass die Pflicht zur Rückzahlung nur für Vorbezüge gilt, die aus einer bestimmten Vorsorgeeinrichtung getätigt worden sind.
Der Gesetzgeber wollte die steuerliche Abzugsfähigkeit von Einkaufsbeiträgen erst nach der Rückzahlung ausstehender Vorbezüge ermöglichen. Daher ist es unerheblich, aus welcher Vorsorgeeinrichtung der 2. Säule die Vorbezüge getätigt wurden.
Die Vorbezüge sind jedenfalls zurückzuzahlen, bevor ein Einkauf getätigt und somit steuerlich als Abzug geltend gemacht werden kann. Ergänzend zu bemerken ist, dass für Vorbezüge aus der Säule 3a eine solche Einschränkung nicht gilt, weil eine Rückzahlung in der Säule 3a gar nicht möglich ist.
4.2. Barauszahlung infolge Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit
Gemäss Artikel 5 des Freizügigkeitsgesetzes (FZG) kann im Zusammenhang mit der selbständigen Erwerbstätigkeit eine Barauszahlung aus der beruflichen Vorsorge verlangt werden (Beendigung des bisherigen Vorsorgeverhältnisses). Diese Kapitalleistung wird gesondert besteuert.
Schliesst sich der Selbständigerwerbende in der Folge erneut einer Vorsorgeeinrichtung an und erfolgt sodann zeitnah zum Bezug ein Einkauf von Beitragsjahren, ist das Vorliegen einer Steuerumgehung zu prüfen. Angelehnt an die Frist von Artikel 79b Absatz 3 BVG ist die zeitliche Nähe bei 3 Jahren anzusiedeln (BGE 2C_43/2010 vom 18.06.2010).
Liegt eine Steuerumgehung vor, wird der Einkauf in die berufliche Vorsorge nicht zum Abzug zugelassen.
5. Einkauf in eine Pensionskasse innert drei Jahren nach vorangehendem Kapitalbezug
Die dreijährige Sperrfrist für einen Kapitalbezug nach einem Einkauf in die berufliche Vorsorge gilt auch für den umgekehrten Fall, d.h. bei einem Kapitalbezug mit anschliessendem (Wieder-)Einkauf innerhalb von drei Jahren. Für die Anwendung von Artikel 79b Absatz 3 BVG spielt es somit keine Rolle, in welcher Reihenfolge Kapitalbezug und Kapitaleinzahlung erfolgen.
6. Kapitalbezug nach Ablauf Sperrfrist oder Bezug Altersleistung als Rente
Aus dem Wortlaut von Artikel 79b Absatz 3 Satz 1 BVG ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine Kapitalauszahlung nach Ablauf der dreijährigen Sperrfrist seit einem Einkauf vorsorgerechtlich unbedenklich ist. Diesfalls hat ein Kapitalbezug keine Auswirkung auf die steuerliche Anerkennung des dazumal erfolgten Einkaufs von Beitragsjahren.
Wenn die Altersleistung ausschliesslich in Form einer Rente bezogen wird, ist keine Sperrfrist zu beachten.
7. Verfahren
Bei noch offenen Steuerveranlagungen wird der Abzug eines Einkaufs daher konsequent verweigert und die nicht zugelassene Einkaufssumme beim Vermögen aufgerechnet, wenn innert der Dreijahresfrist ein Kapitalbezug erfolgt. Ist die Steuerveranlagung des Einkaufsjahres bereits rechtskräftig, wird auf diese im Nachsteuerverfahren nach §§ 204 ff. StG zurückgekommen. Der Abzug des Einkaufs von Beitragsjahren wird nachträglich verweigert und eine Nachsteuer erhoben. Die Kapitalleistung aus Vorsorge wird in der Folge ohne die nicht zugelassenen Einkaufsbeiträge besteuert.
Die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens rechtfertigt sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach nachträglich eingetretene Tatsachen berücksichtigt werden können, wenn sie auf den Beurteilungsstichtag zurückwirken. Ein Kapitalbezug in den Folgejahren kann insofern auf die Steuerperiode des Einkaufs zurückwirken und eine neue Tatsache im Sinn von § 204 Absatz 1 StG bzw. Artikel 151 Absatz 1 DBG darstellen (vgl. StP 204 Nr. 1 Nachsteuerverfahren).