StP 154 Nr. 2 Ruling
1. Definition
Unter Ruling wird die steuerbehördliche Zusicherung von Steuerfolgen der Umsetzung eines konkret geplanten und gegenüber der Steuerbehörde umfassend offengelegten Sachverhalts verstanden (Schreiber/Jaun/Kobierski, Steuerruling – Eine systematische Auslegeordnung, ASA 80 2011/2012, S. 298). Als Synonyme gelten die Begriffe des steuerlichen Vorbescheids (so z.B. § 39c StV) oder der Verständigung. Das Ruling dient der beidseitigen Rechtssicherheit und der Vereinfachung im nachfolgenden Veranlagungsverfahren betreffend die Steuerperiode, in dem sich der geplante Sachverhalt verwirklicht hat.
Das Ruling ist ein verwaltungsrechtlicher Realakt, der den Rechtsfolgen gemäss dem Grundsatz von Treu und Glauben unterliegt (Schreiber/Jaun/Kobierski, Steuerruling – Eine systematische Auslegeordnung, ASA 80 2011/2012, S. 307). Daher besteht kein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Rulingauskunft.
2. Zulässigkeit
Das Veranlagungsverfahren ist als gemischtes Veranlagungsverfahren ausgestaltet, d.h. es zeichnet sich einerseits durch Mitwirkung der steuerpflichtigen Person, andererseits durch die von Amtes wegen zu erfolgende Sachverhaltsermittlung aus. Rulings erfolgen im Hinblick auf künftige Veranlagungen. Bei Rulings handelt es sich um einen Anwendungsfall des allgemeinen Vertrauensschutzes, wonach behördliche Auskünfte unter gewissen Voraussetzungen Bindungswirkung entfalten (BGE 141 I 161, E. 2.1.).
Auch wenn im DBG, im StHG und kantonalen StG eine entsprechende gesetzliche Grundlage für Rulings fehlt, ist deren Zulässigkeit anerkannt (BGE 141 I 161, E. 3.1.; Beusch, Zulässigkeit und Wirkungen von Verständigungen (Rulings), zsis 2009 monatsflash n. 1, S. 2).
In Rechtsmittelverfahren sind Rulings in Form von Vergleichen anzutreffen (siehe § 52 Abs. 1 VRG).
3. Inhalt
3.1. Allgemeines
Das Ruling erfolgt im Hinblick auf einen konkret, umfassend dargelegten Sachverhalt, der in der Folge dann entsprechend umgesetzt wird. Die behördliche Auskunft, Bestätigung oder Zusicherung bezieht sich auf den Bestand, Umfang oder die Art der Erfüllung der Steuerpflicht (Richner, Verständigungen im Steuerverfahren, ZStP 2007, S. 90; Schreiber/Jaun/Kobierski, Steuerruling – Eine systematische Auslegeordnung, ASA 80 2011/2012, S. 298).
Dabei können einmalige Sachverhalte, aber auch Dauersachverhalte einer Vorbescheidsprüfung unterstellt werden.
3.2. Formelle und materielle Anforderungen
Damit eine Rulinganfrage behandelt und beantwortet wird, sind folgende materielle Punkte zu beachten:
Schriftlichkeit der Rulinganfrage;
umfassende Dokumentation des Sachverhalts und der geplanten Transaktionen;
Offenlegung der Identität der steuerpflichtigen Person;
ausführliche, vollständige und zutreffende Darstellung des Sachverhalts;
steuerliche Würdigung des geplanten Sachverhalts.
Werden steuerplanerische Aspekte sowie mögliche Transaktionsvarianten der steueramtlichen Überprüfung unterstellt, wird auf die entsprechende Anfrage nicht eingetreten bzw. werden nur allgemein gehaltene Auskünfte erteilt.
Rulinganfragen in Bezug auf den Tatbestand der indirekten Teilliquidation richten sich nach dem ESTV-Kreisschreiben Nr. 14 „Indirekte Teilliquidation“ vom 6.11.2007, Ziffer 5.2. Betreffend Rulinganfragen im Zusammenhang mit Mitarbeiterbeteiligungsplänen wird auf ESTV-Kreisschreiben Nr. 37 vom 22.7.2016 „Mitarbeiterbeteiligungen“, Ziffer 9 verwiesen.
4. Verbindlichkeit
Die Bindungswirkung ergibt sich nach den Aspekten des allgemeinen Vertrauensschutzes. Voraussetzung für die Bindungswirkung des "Rulings" ist, dass
a) sich die Auskunft der Behörde auf eine konkrete, den Rechtsuchenden berührende Angelegenheit bezieht;
b) die Behörde, welche die Auskunft gegeben hat, hierfür zuständig war oder der Rechtsuchende sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
c) der Rechtsuchende die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können;
d) er im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat;
e) und dass die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung (BGE 131 II 627 E. 6.1; 121 II 473 E. 2c; 116 Ib 185 E. 3c; BGer 2A.46/2000, E. 3a; BGE 141 I 161, E. 3.1).
Sind die vorstehend angeführten Kriterien kumulativ erfüllt, entfaltet ein Ruling Bindungswirkung. Verwirklicht sich der dem Ruling zu Grunde gelegte Sachverhalt nicht oder nicht gemäss der im Rulingantrag angeführten Darstellung, so entfällt die vorgenannte Bindungswirkung (siehe auch VGE vom 8.6.2011, VG.2010.185). Bei Dauersachverhalten kann die kantonale Steuerverwaltung zudem in begründeten Fällen (insbesondere Rechts- oder Praxisänderung) das Ruling unter allfälliger Berücksichtigung einer angemessenen Übergangsfrist schriftlich aufkündigen (siehe auch BGE 141 I 161, E. 5.1). Letztere beurteilt sich nach der Komplexität der aufgrund der Rulingkündigung zu bereinigenden Struktur.
5. Zuständigkeiten und Kosten
5.1. Zuständigkeiten
In der Regel ist das Ruling bei der kantonalen Steuerverwaltung einzureichen, und zwar bei der Abteilung, die für die Veranlagung der davon allenfalls betroffenen Steuern zuständig ist.
Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann die kantonale Steuerverwaltung auch für die Belange der direkten Bundessteuer rechtsverbindliche Rulings erlassen, ohne dass die ESTV mitwirken muss (BGer 2C_529/2014; Oesterhelt, Zuständige Behörde zur Erteilung von Rulings, StR 11/2015, S. 828ff.). Bei Mitarbeiterbeteiligungsplänen mit Betroffenheit von Mitarbeitenden in der ganzen Schweiz empfiehlt sich, das Einverständnis der ESTV im Sinn einer allgemeinen Stellungnahme für die Belange der direkten Bundessteuer einzuholen (ESTV-Kreisschreiben Nr. 37 vom 22.7.2016 „Mitarbeiterbeteiligungen“, Ziffer 9.3; siehe auch Ziffer 8 in StP 19 Nr. 3 Besteuerung von Mitarbeiterbeteiligungen).
Im Folgenden wird die jeweilige, steuerverwaltungsinterne Zuständigkeit übersichtsweise für die gängigsten Rulingkategorien angeführt:
Rulingkategorie | Zuständigkeit bei Steuerverwaltung |
Aufwandbesteuerung | Amtsleitung |
Erbschafts- und Schenkungssteuer | Rechtsabteilung |
Grundstückgewinnsteuer | Abteilung Grundsteuern und Bezug |
Handänderungssteuerfragen | Rechtsabteilung |
Mitarbeiterbeteiligungspläne | Abteilung natürliche Personen |
Spesenreglemente | Abteilung natürliche Personen |
Umstrukturierung juristische Person | Abteilung juristische Personen |
Umstrukturierungen natürliche Person | Abteilung natürliche Personen |
Transponierung, indirekte Teilliquidation | Abteilungen natürliche und juristische Personen |
5.2. Interkantonales Verhältnis
Sind von einer geplanten Transaktion verschiedene Kantone betroffen, ist gestützt auf die durch Artikel 3 BV garantierte kantonale Steuerhoheit grundsätzlich in jedem Kanton eine entsprechende Rulinganfrage einzuholen. Die Rulingszustimmung des für die direkte Bundessteuer zuständigen Kantons (Wohnsitz- oder Sitzkanton) hat keine Präjudizwirkung auf die Beurteilung anderer Kantone.
Hat ein Kanton jedoch mittels Ruling einen Zuteilungsentscheid betreffend Zugehörigkeit eines Vermögenswertes zum Geschäftsvermögen einer natürlichen Person getroffen, so ist ein anderer Kanton an diese Beurteilung gebunden (Entscheid BGer 2C_41/2016, E. 4.3.).
In komplexen interkantonalen Sachverhalten kann gemäss SSK-Kreisschreiben Nr. 21 vom 28.11.2001 eine Koordination zwischen den betroffenen Kantonen und der ESTV erfolgen. Als „koordinationsrelevante“ Anfragen werden Sachverhalte im Zusammenhang mit Beteiligungsübertragungen von einer natürlichen Person auf eine juristische Person, Umstrukturierungen oder umstrukturierungsähnliche Sachverhalte sowie Liquidationen angeführt. Als Koordinationsstelle fungiert in solchen Konstellationen in der Regel die kantonale Veranlagungsbehörde des Sitzkantons der juristischen Person. Bindungswirkung entfaltet das entsprechende Ruling grundsätzlich nur, sofern alle betroffenen Kantone einem koordinierten Vorgehen zustimmen (siehe SSK-Kreisschreiben Nr. 21, Ziffer 54).
Vom Sitzkanton der Arbeitgeberin genehmigte Spesenreglemente entfalten gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung schweizweite Gültigkeit (BGE 148 II 504).
5.3. Kosten
Grundsätzlich können Rulinganfragen kostenfrei eingeholt werden, da sie auch der Verfahrensökonomie dienen. Gemäss § 39c StV können aber Gebühren auferlegt werden, sofern schriftliche Auskünfte und Vorbescheide „das übliche Ausmass übersteigen“. Dies ist der Fall, wenn eine unvollständige Rulinganfrage zu Rückfragen der Veranlagungsbehörde führt oder wenn die Prüfung aufgrund enger zeitlicher Vorgaben der steuerpflichtigen Person unter hohem zeitlichem Druck zu erfolgen hat. Gestützt auf § 9 Absatz 1 Ziffer 4 der Verordnung des Grossen Rates vom 16.12.1992 über die Gebühren der kantonalen Verwaltungsbehörden (SR 631.1) können diese Verfahrensgebühren bis zu CHF 1‘500.- betragen.
6. Internationaler Austausch von Steuerrulings
Die Schweiz leistet aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen grundsätzlich Steueramtshilfe gegenüber anderen Vertragsstaaten, in dessen Rahmen unter Umständen auch Rulings ausgetauscht werden.
Nach Artikel 9 Absatz 1 StaHiV (SR 651.11) ist ein spontaner Informationsaustausch durchzuführen, sofern ein Steuervorbescheid:
a. Sachverhalte nach Artikel 28 Absätze 2-4 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1991 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden betrifft, eine Steuerermässigung für Erträge aus Immaterialgütern oder vergleichbaren Rechten oder eine internationale Steuerausscheidung von Prinzipalgesellschaften zum Gegenstand hat;
b. mit grenzüberschreitendem Bezug Verrechnungspreise zwischen nahestehenden Personen oder eine Verrechnungspreismethodik zum Gegenstand hat, welche die zuständige Schweizer Behörde ohne Beizug der zuständigen Behörden anderer Staaten festgelegt hat;
c. mit grenzüberschreitendem Bezug eine Reduktion des in der Schweiz steuerbaren Gewinns ermöglicht, die in der Jahresrechnung und der Konzernrechnung nicht ersichtlich ist;
d. feststellt, dass in der Schweiz oder im Ausland eine Betriebsstätte besteht oder nicht besteht oder welche Gewinne einer Betriebsstätte zugewiesen werden;
e. oder einen Sachverhalt zum Gegenstand hat, der die Ausgestaltung grenzüberschreitender Finanzierungsflüsse oder Einkünfte über schweizerische Rechtsträger an nahestehende Personen in anderen Staaten betrifft.
Die unter Artikel 9 Absatz 1 StaHiV fallenden Rulings sind von der kantonalen Steuerverwaltung (Abteilung JP) an die ESTV zu übermitteln, welche dann den Informationsaustausch vornimmt.