StP 208 Nr. 1 Vollendete Steuerhinterziehung
1. Objektiver Tatbestand
Mit Busse wird bestraft, wer bewirkt, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterbleibt oder dass eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist (§ 208 Abs. 1 Ziff. 1 StG).
Eine vollendete Steuerhinterziehung liegt vor, wenn sich ein steuerbarer Tatbestand verwirklicht hat, eine Steuersumme geschuldet ist, deren vollständige Veranlagung jedoch vom Steuerpflichtigen schuldhaft verhindert wird. Objektives Tatbestandsmerkmal ist die Steuerverkürzung bzw. Unterbesteuerung. Eine gesetzeskonforme Besteuerung ist im ordentlichen Verfahren nicht mehr möglich, weil die entsprechenden Steuerveranlagungen bereits in Rechtskraft erwachsen sind.
Kein Tatbestandselement bildet das Vorliegen eines Nachsteuertatbestands bzw. einer neuen Tatsache. Steuerhinterziehungs- und Nachsteuerverfahren bilden keine Einheit; beide Verfahren werden getrennt durchgeführt (VGE V 142 vom 28.6.2006, E. 3; Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Handkommentar zum DBG, 4. Aufl., Zürich 2023, Art. 175 N 15). Somit kann ein Steuerstrafverfahren wegen vollendeter Steuerhinterziehung durchgeführt werden, auch wenn mangels neuer Tatsache keine Nachsteuern erhoben werden können.
Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist in objektiver Hinsicht also erfüllt, wenn:
eine Veranlagung zu Unrecht unterbleibt;
eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist;
ferner ein Steuerabzug an der Quelle nicht oder nicht vollständig vorgenommen wird, oder
eine unrechtmässige Rückerstattung oder ein ungerechtfertigter Steuererlass erwirkt wird.
Eine rechtskräftige Veranlagung ist dann unvollständig, wenn der Steuerpflichtige keine, unvollständige oder falsche Angaben in der Steuererklärung oder in den Beilagen (Hilfsblätter) dazu gemacht hat oder wenn er im Veranlagungs-, Einsprache- und/oder Beschwerdeverfahren keine, unvollständige oder falsche Auskünfte erteilt hat.
Der Steuerpflichtige muss auch Tatsachen erwähnen, wenn er nicht weiss, ob diese steuerlich von Bedeutung sind. Stellt sich nach einer Ermessensveranlagung heraus, dass die Steuerfaktoren nicht vollständig erfasst worden sind und dies der Steuerpflichtige gewusst hat oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte wissen müssen und er somit die mangelnde steuerliche Erfassung verschuldet hat, ist der Tatbestand der vollendeten Steuerhinterziehung ebenfalls erfüllt.
2. Subjektiver Tatbestand
2.1. Begriff
In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand der vollendeten Steuerhinterziehung, dass der Steuerpflichtige vorsätzlich oder fahrlässig eine Verkürzung des gesetzlichen Steueranspruchs bewirkt hat.
Für die Erhebung einer Hinterziehungsbusse ist ein Verschulden des Steuerpflichtigen vorausgesetzt. Ob ein Verschulden vorliegt, beurteilt sich nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen.
Ist der Täter eine natürliche Person, so ist sowohl die vorsätzlich wie auch die fahrlässig bewirkte Steuerhinterziehung strafbar. Handelt es sich beim Täter um eine juristische Person, dann können Vorsatz oder Fahrlässigkeit nur bei den für die juristische Person handelnden Organen oder Vertretern vorliegen. Eine Bestrafung dieser Organe oder Vertreter nach § 214 Absatz 3 in Verbindung mit § 210 StG kann nur für (eventual-)vorsätzliches Handeln erfolgen, weil § 210 Absatz 1 StG nur die vorsätzlich begangene Teilnahmehandlung strafbar erklärt wird (vgl. StP 210 Nr. 1 Teilnahme an einer Steuerhinterziehung (Anstiftung, Gehilfenschaft, sonstige Mitwirkung)).
2.2. Vorsatz und Eventualvorsatz
2.2.1. Vorsatz
Vorsätzlich handelt gemäss Artikel 12 Absatz 2 StGB, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Steht mit hinreichender Sicherheit fest, dass sich der Steuerpflichtige der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der gegenüber den Steuerbehörden gemachten Angaben bewusst war, kann der Wille zur Steuerhinterziehung vorausgesetzt werden; die Vermutung, welche vom Wissen auf den Willen schliesst, ist allerdings entkräftbar (Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Handkommentar zum DBG, 4. Aufl., Zürich 2023, Art. 175 N 46 m.w.H.).
Vorsatz ist nicht allein deshalb auszuschliessen, weil die Steuerbehörde die Unrichtigkeit der Deklaration mit Leichtigkeit entdecken könnte. Der Steuerpflichtige kann nämlich damit rechnen, dass die Steuerbehörden auf seine Angaben abstellen, ohne diese näher zu überprüfen (Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Art. 175 N 48 m.w.H.). Vorsatz wird zum Beispiel bejaht, wenn in der Jahresrechnung Privataufwendungen verbucht worden sind oder wenn die Gesellschaft Lebenshaltungskosten für den Anteilsinhaber übernimmt und dem Leistungsempfänger die Unzulässigkeit des Vorgehens bekannt ist.
2.2.2. Eventualvorsatz
Eventualvorsatz liegt dagegen vor, wenn der Täter die Verwirklichung eines Tatbestands zwar nicht mit Gewissheit voraussieht, aber doch ernsthaft für möglich hält und die Erfüllung des Tatbestands für den Fall, dass sie eintreten sollte, auch will bzw. zumindest in Kauf nimmt.
Eventualvorsatz ist anzunehmen, wenn die Verhältnisse so liegen, dass das Vorgehen des Steuerpflichtigen vernünftigerweise nur mit der Absicht der Erwirkung einer gesetzeswidrigen Steuerersparnis erklärt werden kann. Dies ist gemäss konstanter Rechtssprechung insbesondere dann der Fall, wenn ein erheblicher Betrag, der vom Pflichtigen unmöglich übersehen werden konnte, nicht in dessen Steuererklärung erscheint (Behnisch, Das Steuerstrafrecht im Recht der direkten Bundessteuer, Diss. Bern 1991, S. 270 mit Hinweisen; Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, zu Art. 175 N 51).
Die steuerpflichtige Person kann sich der Verantwortung für eine vollständige Deklaration ihres Einkommens nicht dadurch entziehen, dass sie die Erstellung der Buchhaltung oder der Steuererklärung ohne klare Instruktionen und ohne jegliche Kontrolle einem Treuhänder überträgt.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt eventualvorsätzliches Handeln auch dann vor, wenn sich die steuerpflichtige Person überhaupt nicht darum kümmert, ob die von ihr gemachten Angaben richtig bzw. ob die für sie abgegebene Jahresrechnung und Steuererklärung vollständig sind. Damit nimmt sie eine Steuerverkürzung in Kauf (STE 2002 DBG B101.21 Nr. 15).
Im Zeitpunkt, in dem die auf zu tief geschätzten Steuerfaktoren basierende Ermessensveranlagung in Rechtskraft erwächst, weiss die steuerpflichtige Person, dass ihre Veranlagung zu Unrecht unvollständig ist. Beseitigt sie diesen Mangel nicht im Zuge einer Einsprache, begeht sie mit dieser Unterlassung eine eventualvorsätzliche oder allenfalls direktvorsätzliche Steuerhinterziehung (BGer 2A.374/2005 vom 8.6.06).
So wurde Eventualvorsatz bejaht, bei Nebenerwerbseinkünften im Umfang eines Viertels bis Drittels der Haupterwerbseinkünfte, welche nicht deklariert wurden (Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Art. 175N 51).
2.3. Fahrlässigkeit
Gemäss Artikel 12 Absatz 3 StGB liegt fahrlässiges Handeln vor, wenn aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit die Folgen des eigenen Handelns nicht bedacht werden oder darauf nicht Rücksicht genommen wird. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn die handelnde Person die Vorsicht nicht beachtet, zu der sie nach den Umständen und nach ihren persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.
Die Frage der Verletzung der subjektiven Sorgfaltspflicht wird unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Täters geprüft. Zu diesen zählen etwa Bildung, geistige Fähigkeiten und berufliche Erfahrung. Geboten ist das Verhalten eines - als Referenzperson gedachten - besonnenen und umsichtigen, in die gleiche Lage versetzten Menschen mit identischen Kenntnissen und Fähigkeiten, wie der Täter.
Ist der Steuerpflichtige über seine Pflichten und Rechte im Unklaren, so hat er sich darüber Gewissheit zu verschaffen oder wenigstens der Behörde von seinem Zweifel Kenntnis zu geben. Diese Pflicht trifft auch den unbeholfenen Steuerpflichtigen.
Fahrlässig kommt seiner Mitwirkungspflicht in der Regel nicht nach, wer die Wegleitung zur Steuererklärung nicht beachtet.
2.4. Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit
Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit kann im Einzelfall schwierig sein. Sowohl der eventualvorsätzlich als auch der fahrlässig handelnde Täter wissen um die Möglichkeit oder das Risiko der Tatbestandsverwirklichung. Hinsichtlich der Wissensseite stimmen somit beide Erscheinungsformen des subjektiven Tatbestandes überein.
Unterschiede bestehen jedoch beim Willensmoment. Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintrete, sich das Risiko der Tatbestandserfüllung mithin nicht verwirklichen werde. Das gilt selbst für den Täter, der sich leichtfertig über die Möglichkeit der Tatbestandserfüllung hinwegsetzt und mit der Einstellung handelt, es werde schon nichts passieren.
Demgegenüber nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Wer den Erfolg derart in Kauf nimmt, "will" ihn im Sinne von Artikel 18 Absatz 2 StGB. Nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolg "billigt" (BGE 130 IV 61).
3. Täterschaft
3.1. Natürliche Personen als Täter
Eine natürliche Person ist dann Täter, wenn sie als Steuerpflichtige durch ihr eigenes Handeln den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.
3.2. Ehegatten als Täter
Unterliegt ein verheirateter Steuerpflichtiger der gemeinsamen Besteuerung, wird er gemäss § 212 StG nur für die Hinterziehung von eigenem Einkommen und Vermögen gebüsst. Vorbehalten bleiben Mitwirkungshandlungen an der Steuerhinterziehung nach § 210 StG. Die Mitunterzeichnung der Steuererklärung für sich allein, stellt dabei noch keine Widerhandlung nach § 210 StG dar.
Die vorgenannten Ausführungen gelten sinngemäss auch für Partnerinnen oder Partner in eingetragener Partnerschaft (vgl. StP 12 Nr. 1 Einkommen und Vermögen von Ehegatten sowie von Personen in eingetragener Partnerschaft).
3.3. Juristische Personen als Täter
Gemäss § 214 StG können auch juristische Personen wegen vollendeter und versuchter Steuerhinterziehung bestraft werden. Strafbarkeit ist gegeben, wenn „in Bezug“ auf die juristische Person die gesetzlich umschriebenen Tatbestände erfüllt werden. Da die juristische Person durch ihre Organe handelt, ist zu ihrer Bestrafung das schuldhafte Verhalten eines Organs notwendig (BGE 2P.29/1990 vom 6.2.1991). Die Zurechnung steuerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit kann auch durch das Verhalten faktischer Organe begründet werden (Sieber/Malla, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], Kommentar zum DBG, 4. Aufl., Basel 2022, Art. 181 N7).
Dazu werden Personen gezählt, die die faktische Leitung der Gesellschaft innehaben oder denen selbständige Entscheidungsbefugnis, auch in einem Teilbereich der juristischen Person, zukommt. Die für die juristische Person handelnden Organe und Vertreter können ausserdem als Teilnehmer nach § 210 StG bestraft werden, wenn sie bei einer Steuerhinterziehung vorsätzlich mitgewirkt haben (§ 214 Abs. 3 StG).
3.4. Verantwortlichkeit bei Beauftragung eines Treuhänders
Grundsätzlich gilt, dass ein Steuerpflichtiger für das richtige Ausfüllen seiner Steuererklärung selbst verantwortlich ist. Zu entscheiden ist, welches Mass an Sorgfalt beim Ausfüllen der Steuererklärung verlangt werden darf.
Nach Praxis des Verwaltungsgerichts sind an das Mass der gebotenen Sorgfalt grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Weiter ist vom Grundsatz auszugehen, dass der Steuerpflichtige nicht von seiner Verantwortung für die korrekte Erfüllung der Deklarations- und Mitwirkungspflicht entbunden ist, wenn er die Steuererklärung einem Vertreter übergibt, so dass ihm auch dessen Unterlassungen anzulasten sind.
Nur ausnahmsweise kann der Pflichtige von seiner Verantwortlichkeit für einen Fehler in der Deklaration entbunden werden, wenn er die Einhaltung seiner Sorgfaltspflicht in Auswahl, Instruktion und Überwachung des Treuhänders nachweisen kann.
Vermag er diesen Nachweis nicht zu erbringen, hat er für die Verfehlungen seines Vertreters einzustehen. Dies gilt sowohl für Verfahrensverletzungen wie auch materielles Fehlverhalten des (gesetzlichen oder gewillkürten) Vertreters. Das Bundesgericht hat die Haftung in einer strengen Auslegung nicht nur auf Vertreter, sondern auch auf Hilfspersonen ausgedehnt.
4. Strafzumessung
Die Strafzumessung muss zu einer verhältnismässigen Strafe führen. Sie wird gemäss dem Verschulden des Täters vorgenommen, nachdem die Art des Verschuldens des Täters feststeht (sog. Verschuldensprinzip, Art. 34 StGB; Art. 47 Abs. 1 StGB; Art. 106 Abs. 3 StGB). Die (analoge) Anwendung des Allgemeinen Teils des StGB (Art. 1-110) auf das kantonale Steuerstrafrecht ergibt sich aus Artikel 335 StGB in Verbindung mit §§ 26ff. des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Strafrecht vom 17.8.2005 (EG StGB; RB 311.1).
Grundlage für die Bemessung der Busse ist der hinterzogene Steuerbetrag. Dieser entspricht bei der vollendeten Steuerhinterziehung der Differenz zwischen dem im Hinterziehungsverfahren berechneten Steuerbetrag und demjenigen, der in der ursprünglichen Veranlagung festgesetzt wurde. Er wird im Nachsteuerverfahren festgesetzt. Bei juristischen Personen wird der Steuerbetrag nach Steuern in die Bussenbemessung einbezogen (Margraf, Steuerstrafrechtliche Folgen von verdeckten Gewinnausschüttungen, StR 2018, 4 ff., 10).
Gemäss Artikel 34 StGB werden Geldstrafen in sogenannten Tagessätzen festgesetzt. Aufgrund der klaren spezialgesetzlichen Bestimmungen im Steuerstrafrecht, nach welchen sich die auszufällende Busse anhand der hinterzogenen Steuer bemessen, wird Artikel 34 StGB daher nur analog anwendbar sein, insbesondere im Rahmen der Strafzumessung gemäss Artikel 34 Absatz 2 StGB (siehe auch Hofer, Strafzumessung bei der Hinterziehung direkter Steuern, Diss. ZH 2007, 261ff.).
Der Grundsatz des Verschuldensprinzips bei der Strafzumessung wird indessen relativiert durch die für die vollendete Steuerhinterziehung vorgesehene Regelstrafe im Umfang des Einfachen der hinterzogenen Steuer. Dieses Regelstrafmass soll Anwendung finden bei Vorsatz ohne besondere Strafänderungsgründe (Sieber/Malla, Art. 175 N 45 mit Verweisen). Gemäss § 208 Absatz 2 StG darf vom Regelstrafmass nur bei „leichtem“ Verschulden nach unten abgewichen werden.
Zum Verschulden gehört die gesamte Motivation der strafbaren Handlung, wie dies Artikel 47 Absatz 2 StGB mit seinem ausdrücklichen Hinweis auf die Beweggründe deutlich erkennen lässt. Artikel 47 Absatz 1 StGB schreibt zudem vor, dass bei der Strafzumessung auch das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen sind (siehe auch Art. 106 Abs. 3 StGB).
Artikel 34 Absatz 2 StGB bestimmt, dass sich die Höhe des Tagsatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum richten muss (siehe auch Art. 106 Abs. 3 StGB). Als grobe Regel sollte das Regelmass greifen dürfen, wenn Vorsatz vorliegt und es gleichzeitig an Strafminderungs- und Straferhöhungsgründen fehlt (Sieber/Malla, Art. 175 N 45).
Das Regelstrafmass darf aber auch bei vorsätzlicher Tatbegehung nur den Ausgangspunkt für die Strafzumessung nach dem Verschuldensprinzip bilden (BGE 114 Ib 27; Sieber, StHG, Art. 56 N 38a). Dabei sind nebst der Schwere der Verfehlung und der Vorwerfbarkeit der Verhaltensweise des Täters namentlich dessen persönliche Verhältnisse bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidfällung zu berücksichtigen, nach denen sich seine Strafempfindlichkeit beurteilt (Sieber/Malla, Art. 175 N 47). Deshalb kommt dem Regelstrafmass bei der Strafzumessung keine wesentliche Bedeutung zu (Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Art. 175 N 90; Hofer, 46).
Schweres Verschulden liegt etwa vor bei Rückfall, bei renitentem Verhalten des Pflichtigen gegenüber den Steuerbehörden, ferner auch dann, wenn der Steuerpflichtige über besondere steuerliche Fachkenntnisse verfügt.
Leichtes Verschulden kann dann vorliegen, wenn einer der in Artikel 64 StGB genannten mildernden Umstände (z.B. Handlung in schwerer Bedrängnis) vorliegt. Verschuldensmildernd ist auch das kooperative Verhalten des Steuerpflichtigen bei der Feststellung des vollständigen Sachverhalts zu werten.
Sind verrechnungssteuerbelastete Einkünfte Gegenstand des Hinterziehungsverfahrens, wird der Umstand, dass die erhobene Verrechnungssteuer gegebenenfalls nicht mehr zurückerstattet wird, als Strafminderungsgrund betrachtet (Wermuth/Fischer, Steuerhinterziehung und Verrechnungssteuer, zsis)4/2021, A 16 N 34; Margraf, 16).
5. Selbstanzeige
5.1. Erstmalige Selbstanzeige
Bei erstmaliger Selbstanzeige ist von einer Büssung abzusehen, wenn gemäss Artikel 175 Absatz 3 DBG bzw. § 208 Absatz 3 StG folgende Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind:
Die Hinterziehung ist keiner Behörde bekannt.
Die steuerpflichtige Person unterstützt die Verwaltung bei der Festsetzung der Nachsteuer vorbehaltlos.
Sie bemüht sich ernstlich um die Bezahlung der geschuldeten Steuer.
Erstmalig ist eine Selbstanzeige dann, wenn die steuerpflichtige Person seit 1.1. 2020 noch keine Selbstanzeige vorgenommen hat. Ist dies nicht der Fall, so ist eine Strafbefreiung ausgeschlossen; die Busse wird dann auf einem Fünftel der hinterzogenen Steuer festgesetzt (Art. 175 Abs. 4 DBG; § 208 Abs. 4 StG). Dies gilt auch bei jeder weiteren Selbstanzeige.
Eine erstmalige Selbstanzeige in Bezug auf juristische Personen führt unter gleichen Voraussetzungen ebenfalls zur Strafbefreiung (Art. 181a DBG, § 214a StG). Die Straffreiheit erstreckt sich ebenfalls auf deren Organe und Vertreter; eine Solidarhaftung bezüglich hinterzogener Steuer entfällt. Selbstanzeigen für juristische Personen können auch von ausgeschiedenen Organen vorgenommen werden (§ 214a Abs. 4 StG). Diesfalls sind von der Straffreiheit auch die aktuellen und andere ausgeschiedene Organe und Vertreter betroffen.
5.2. Einzelne Voraussetzungen
5.2.1. Hinterziehung ist keiner Behörde bekannt
Es gelten folgende Grundsätze:
Die entsprechende Meldung muss von der steuerpflichtigen Person bzw. seinem Vertreter an die Steuerbehörden ergangen sein;
Die Meldung muss die Angaben enthalten, dass der Steuerpflichtige bisher nicht oder unvollständig versteuert hat; die Meldung muss hinsichtlich der hinterzogenen Faktoren umfassend und vorbehaltlos sein und konkrete Angaben über die unversteuerten Werte enthalten;
Die Selbstanzeige muss bei den Steuerbehörden eintreffen, bevor diese von der Steuerhinterziehung Kenntnis haben;
Die Anzeige muss „von sich aus“, das heisst spontan aus eigenem Antrieb der steuerpflichtigen Person erstattet worden sein, wobei es auf die Motive des Selbstanzeigers nicht ankommt. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist den romanischen Fassungen von Artikel 175 Absatz 3 DBG, wonach die Selbstanzeige "spontan" (spontanément (franz.), spontaneamente (ital.)) erfolgen muss, Bedeutung beizumessen, sodass einer Selbstanzeige, welche nicht spontan erfolgt, die strafbefreiende Wirkung versagt wird (BGer 2C_113/2018, E. 3.3; BGer 2C_370/2019, E. 5.4.2). Stellen demnach die Steuerbehörden im selben Zusammenhang bereits Untersuchungen an und muss die steuerpflichtige Person nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgehen, dass die Steuerbehörden die Steuerhinterziehung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch ohne Offenlegung von sich aus entdecken werden, ist einer Selbstanzeige die erforderliche Spontanität abzusprechen.
5.2.2. Vorbehaltlose Unterstützung der Veranlagungsbehörde
Die steuerpflichtige Person hat sämtliche bisher nicht deklarierten Faktoren offenzulegen und Auflagen der Veranlagungsbehörde fristgerecht, vollständig und wahrheitsgetreu zu beantworten. So sind beispielsweise Steuerauszüge von Wertschriftendepots von der depotführenden Bank einzuverlangen und der Selbstanzeige beizulegen.
Blosse Teil-Anzeigen gelten in aller Regel als Irreführung der Steuerbehörde und rechtfertigen keine Ermässigung der Strafe und sind deshalb nicht als Selbstanzeige entgegen zu nehmen.
5.2.3. Ernstliche Zahlungsbemühungen
Bestehen Schwierigkeiten, die Nachsteuerforderung zu begleichen, hat sich die steuerpflichtige Person von sich aus aktiv bei der Bezugsbehörde um Stundung oder allenfalls sogar Erlass zu bemühen.
Muss die Nachsteuerforderung auf dem Betreibungsweg eingetrieben werden, mangelt es am Zahlungswille.
5.3. Rechtsfolgen
Wird im Leben bzw. nach dem 01.01.2010 erstmalig eine Selbstanzeige vorgenommen, welche den vorgenannten Kriterien entspricht, wird auf eine Steuerbusse verzichtet. Die Straflosigkeit wird in einer separaten Verfügung festgehalten.
Genügt die Selbstanzeige den einschlägigen Kriterien für eine Straflosigkeit nicht, wird eine Steuerbusse nach Massgabe des Verschuldens und der Schwere der Steuerverkürzung ausgesprochen, wobei der „Selbstanzeige“ bei der Bussenhöhe bussenmindernd Rechnung getragen wird.
5.4. Selbstanzeigen im Zusammenhang mit der Inkraftsetzung des AIA
Per 1.1.2017 sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Automatischen Informationsaustausch (AIA) in Kraft getreten. Damit werden zwischen AIA-Staaten gegenseitig Informationen über Finanzkonten ausgetauscht, was der Verhinderung der grenzüberschreitenden Steuerhinterziehung dienen soll. Der erstmalige Informationsaustausch erfolgte im Jahr 2018 auf der Grundlage der seit 2017 gesammelten Daten. Der Informationsaustausch erfolgt von den Finanzinstituten an die Steuerbehörden des einen Vertragsstaates, welche diese Daten an die Steuerbehörden des anderen Vertragsstaates übermitteln.
Wollen bislang nicht deklarierte und versteuerte Vermögenswerte im Kanton Thurgau offengelegt werden, welche in den Anwendungsbereich des AIA fallen, so ist von einer spontanen Selbstanzeige solange auszugehen, als dass noch keine Meldungen des betroffenen Vertragsstaates an die Eidgenössische Steuerverwaltung übermittelt worden sind. Damit sind im Jahr 2017 erfolgte Anzeigen als Selbstanzeigen im Sinn von § 208 StG zu qualifizieren, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Liegen allerdings bereits an die ESTV übermittelte Meldungen über diese Vermögenswerte vor, ist die Spontanität der Selbstanzeige zu verneinen. Dies gilt auch in Bezug auf offengelegte Daten von Vertragsstaaten, für die der AIA zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft getreten ist.
5.5. Selbstanzeigen im Zusammenhang mit verrechnungssteuerbelasteten Vermögenserträgen
Die Offenlegung von verrechnungssteuerbelasteten Vermögenserträgen führt zur Beurteilung einer allfälligen Verwirkung der Rückerstattung der Verrechnungssteuer.
Nach Artikel 23 Absatz 1 VStG verwirkt der Rückerstattungsanspruch, wenn verrechnungssteuerbelastete Einkünfte oder Vermögenswerte nicht ordnungsgemäss deklariert werden. Gemäss Artikel 23 Absatz 2 VStG tritt die Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs jedoch nicht ein, wenn die Nichtdeklaration fahrlässig erfolgt und wenn bezüglich der fraglichen Steuerfaktoren kein Veranlagungs- oder Nachsteuerverfahren mehr hängig ist. Die Beurteilung, ob eine Nichtdeklaration fahrlässig begangen worden ist, bestimmt sich nach den Grundsätzen von Artikel 12 StGB, weil es sich aufdränge, denselben Vorsatzbegriff wie bei der Hinterziehung der durch die Verrechnungssteuer zu sichernden Steuern zu verwenden (BGer 2C_1066/2018, E. 4.1; BGer 2C_449/2017, E. 4.1).Im Sinn einer natürlichen Vermutung wird davon ausgegangen, dass über Jahre hinterzogene Vermögenserträge und –werte zumindest eventualvorsätzlich hinterzogen worden sind. Es ist kaum vorstellbar, dass die Nichtdeklaration in solchen Konstellationen bloss fahrlässig erfolgt sein soll (Margraf, Zehn Jahre straflose Selbstanzeige - eine Bestandesaufnahme, StR 2020, 360 ff., 364).
Bei einmaligen Vorgängen ist die Beurteilung davon abhängig zu machen, wie hoch der nicht deklarierte Vermögensertrag ausfällt (vgl. Ausführungen zu Ziffer 2.2.2).
6. Erbenhaftung
Die Haftung der Erben ergibt sich aus § 15 StG, der die Steuernachfolge regelt. Danach treten die Erben grundsätzlich in die Rechte und Pflichten des verstorbenen Steuerpflichtigen ein. Die Erben haften jedoch nicht persönlich für gegenüber dem Erblasser ausgefällte Bussen. Sie können auch nicht verrechnungsweise geltend gemacht werden. Entsprechende Eintragungen im Betreibungsregister werden auf Antrag der betroffenen Person gelöscht.
Haben ein oder mehrere Erben noch zu Lebzeiten des Erblassers zu dessen Hinterziehung Beihilfe geleistet, diese bewirkt oder den Erblasser dazu angestiftet, ist darauf § 210 StG (vgl. StP 210 Nr. 1 Teilnahme an einer Steuerhinterziehung (Anstiftung, Gehilfenschaft, sonstige Mitwirkung)) anwendbar. Die Erben werden diesfalls ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit des Erblassers mit Busse bestraft. Ihre solidarische Haftung für die vom Erblasser hinterzogene Steuer bleibt bestehen und ist in diesem Fall weiterhin unbeschränkt (vgl. Art. 56 Abs. 4 StHG).
7. Hinterziehung von Quellensteuern
Der Tatbestand der Hinterziehung von Quellensteuern besteht darin, dass der zum Steuerabzug Verpflichtete einen Steuerabzug vorsätzlich oder fahrlässig nicht oder nicht vollständig vornimmt.
Zu beachten ist bei diesem Tatbestand, dass es keine formelle Veranlagungsverfügung gibt, deren Rechtskraft die Vollendung der Hinterziehung von Quellensteuern nach sich ziehen würde, so dass in jedem Fall eine vollendete Steuerhinterziehung vorliegt. Es handelt sich somit um ein Tätigkeitsdelikt.
8. Verjährung
Die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung beträgt 10 Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, für welche die steuerpflichtige Person nicht oder unvollständig veranlagt worden ist oder der Quellensteuerabzug nicht gesetzmässig erfolgt ist (Art. 58 Abs. 2 lit. a StHG).
Die Verjährung tritt dabei gestützt auf Artikel 58 Absatz 3 StHG nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist eine Verfügung erlassen worden ist.
Die Vollstreckungsverjährung von Bussen und hinterzogenen Steuerbeträgen richtet sich sinngemäss nach den Bestimmungen von § 153 StG und § 221 Absatz 2 StG.
9. Strafverzicht
Nach § 214b StG kann bei geringfügigem Verschulden oder niedrigen Bussenbeträgen auf eine Büssung – sei es infolge Verletzung von Verfahrenspflichten gemäss § 207 StG oder sei es infolge Tatbestandsmässigkeit einer Steuerhinterziehung gemäss §§ 208ff. StG – verzichtet werden. Dies rechtfertigt sich vor allem aus Sicht der Verfahrensökonomie. Gemäss § 217a Absatz 3 StG können der steuerpflichtigen Person auch bei einer Einstellung des Steuerstrafverfahrens Verfahrenskosten auferlegt werden, sofern die Einleitung des Steuerstrafverfahrens durch das Verhalten im Veranlagungsverfahren (z.B. erforderliche Unterlagen wurden erst im Steuerstrafverfahren eingereicht) verursacht worden ist.