StP 16 Nr. 1 Solidarhaftung der Ehegatten und Kinder sowie von Personen in eingetragener Partnerschaft
1. Allgemeines
Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe haften solidarisch für die Gesamtsteuer (§ 16 Abs. 1 StG). Ferner haften sie solidarisch für denjenigen Teil an der Gesamtsteuer, der auf das Einkommen und Vermögen der Kinder entfällt. Nach § 16 Absatz 4 StG haften die unter elterlicher Sorge stehenden Kinder allerdings bis zum Betrag des auf sie entfallenden Anteils an der Gesamtsteuer solidarisch.
Die solidarische Haftung führt dazu, dass die Steuerbehörden die Steuerforderung wahlweise entweder beim Ehemann oder bei der Ehefrau oder sogar bei beiden beziehen können (Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil Art. 1-48 DBG, 2. Aufl., Basel 2019, Art. 13 N 11). Zudem kann die Steuerbehörde den auf die unter elterlicher Sorge stehenden Kinder entfallenden Anteil an der Gesamtsteuer auch bei diesen eintreiben.
§ 16 Absatz 1 StG bestimmt aber nichts über die Verteilung im Innenverhältnis. Diese Frage regelt das Zivilrecht (Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 4. Aufl., Zürich 2021, § 12 N 5). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes berücksichtigt das Steuerrecht nicht, unter welchem Güterstand die Ehegatten leben, und das Steuerrecht ist zu einer solchen Berücksichtigung auch nicht verpflichtet. Das Steuerrecht trägt folgerichtig bei der Frage der Haftung für Steuerschulden einem zwischen den Ehegatten vereinbarten oder gesetzlich angeordneten besonderen Güterstand keine Rechnung (BGE 122 I 139 E. 4e). Der Steuergesetzgeber ist nicht an die vom Bundeszivilgesetzgeber vorgesehene grundsätzlich individuelle Haftung der Ehegatten gebunden. Das Eherecht lässt Raum für eine abweichende Regelung der Haftung der Ehegatten im Steuerrecht.
Die in dieser Steuerpraxis enthaltenen Ausführungen gelten sinngemäss auch für Partnerinnen oder Partner in eingetragener Partnerschaft (vgl. StP 12 Nr. 1 Einkommen und Vermögen von Ehegatten sowie von Personen in eingetragener Partnerschaft).
2. Wegfall der Solidarhaftung
2.1 Bei rechtlicher oder tatsächlicher Trennung der Ehe oder der Partnerschaft
Bei rechtlicher oder tatsächlicher Trennung der Ehe entfällt die Solidarhaftung für alle noch offenen Steuerschulden (§ 16 Abs. 3 StG). Diese Bestimmung gilt auch bei einer Scheidung, sofern der gemeinsame Haushalt der Ehegatten erst mit der Scheidung aufgehoben wird.
Aufgrund von § 58 Absatz 2 StG erfolgt bei Scheidung, rechtlicher oder tatsächlicher Trennung für die ganze Steuerperiode eine getrennte Besteuerung. Im Trennungsjahr erfolgt daher eine getrennte Besteuerung der Ehegatten mit individueller Haftung für die jeweilige Steuerforderung.
Die Ehetrennung hat jedoch auch zur Folge, dass Steuerforderungen aus der gemeinsamen Besteuerung aus der ehelichen Solidarhaft entlassen werden. Die Solidarhaftung entfällt demnach, sobald die Ehegatten rechtlich oder tatsächlich getrennt leben (Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 4. Aufl., Zürich 2021, § 12 N 7). Die Solidarhaftung entfällt nicht nur für künftige, sondern auch für alle fakturierten, d.h. für alle noch offenen Steuerforderungen, die noch für den Zeitraum bis zum Eintritt der getrennten Besteuerung der Ehegatten geschuldet sind (Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil Art. 1-48 DBG, 2. Aufl., Basel 2019, Art. 13 N 15 m.w.H.). Jeder Ehegatte haftet bezüglich dieser Steuern nur noch für seinen Anteil an der Gesamtsteuer.
Eine Ehetrennung im Sinn von § 16 Absatz 2 StG liegt vor, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
Beide Ehepartner haben gestützt auf Art. 23 ZGB je einen eigenen Wohnsitz bzw. verfügen über getrennte Wohnstätten.
Die eheliche Gemeinschaft ist aufgehoben worden, was sich in der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts und der Gemeinschaftlichkeit der finanziellen Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt manifestiert (BGer 2C_502+508/2015, E. 3.1 m.w.H.).
Der Wegfall der Solidarhaftung infolge Ehetrennung ist von Amtes wegen zu beachten.
2.2 Bei Zahlungsunfähigkeit eines Ehegatten oder eines Partners
Ist einer der Ehegatten zahlungsunfähig, fällt die Solidarhaftung dahin, und jeder Ehegatte haftet nur für seinen Anteil an der Gesamtsteuer (§ 16 Abs. 2 StG).
Zahlungsunfähigkeit im Sinn von § 16 Absatz 2 StG stellt gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung einen unbestimmten Rechtsbegriff des nicht harmonisierten kantonalen Rechts dar, der sich als auslegungsbedürftig erweist (BGer 2C_142/2020, E. 2.2.2). Ob ein Ehepartner zahlungsunfähig ist, ist eine Tatsachenfrage, welche vom Steuer-, nicht durch das Rechtsöffnungsgericht zu beurteilen ist (BGer 5D_117/2017, E. 2.1.2).
Zahlungsunfähigkeit im Sinn von § 16 Absatz 2 StG ist zu verneinen, falls die Illiquidität nur einen kurzfristigen finanziellen Engpass darstellt (BGer 2C_709/2008, E. 4.2). Die unzureichende Mittelausstattung muss dauerhafter Natur sein (BGer 2C_142/2020, E. 2.2.4; BGer 2C_306/2007, E. 3.4). Zahlungsunfähigkeit liegt vorab dann vor, wenn Verlustscheine bestehen, der Konkurs eröffnet ist oder ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung abgeschlossen wurde (BGer 2C_142/2020, E. 2.2.4 m.w.H.). Diese Kriterien sind jedoch nicht die einzigen, welche die Zahlungsunfähigkeit belegen. In zeitlicher Hinsicht ist als weiteres Indiz zu berücksichtigen, dass keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn es der steuerpflichtigen Person möglich ist, ihre (zur Tilgung) fälligen Verbindlichkeiten in der Regel innert 24 bis 36 Monaten zu begleichen.
Der Indizcharakter von Verlustscheinen für eine Zahlungsunfähigkeit wird allerdings relativiert, wenn die Betreibungen und Verlustscheine namentlich in jüngerer Zeit vorab die öffentliche Hand und die Krankenversicherung betreffen (RBOG 2003 Nr. 16). Sinngemäss zur Praxis zur Definition der Zahlungsunfähigkeit nach Artikel 174 Absatz 2 SchKG und nach § 77 Absatz 1 Ziffer 3 a ZPO ist die Zahlungsunfähigkeit jedenfalls nicht gleichzusetzen mit Zahlungsunwilligkeit, insbesondere gegenüber öffentlich-rechtlichen Gläubigern (RBOG 1997 Nr. 16; RBOG 1990 Nr. 29).
Ist die Mittellosigkeit im Wesentlichen auf Entreicherungen zu Gunsten der eigenen Familie zurückzuführen, liegt ebenfalls kein Grund für den Wegfall der Solidarhaftung vor, da dieses Vorgehen als Zahlungsunwilligkeit zu qualifizieren ist (BGer 2C_142/2020, E. 2.2.4; BGer 2C_709/2008, E. 4.2.).
Die Zahlungsunfähigkeit muss auch dann anerkannt werden, wenn andere schlüssige und objektive Merkmale nachgewiesen werden, die das dauernde Unvermögen des entsprechenden Ehegatten belegen, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, z.B. die umfassende Überschuldung (Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 4. Aufl., Zürich 2021, § 12 N 11). Häufig führt die Kumulation von verschiedenen objektiven Sachumständen dazu, die Zahlungsunfähigkeit anzunehmen, was eine Einzelfallprüfung voraussetzt (Schwaller, Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit bei der solidarischen Haftung der Ehegatten, ASA 80 [2011/2012], 660 ff., 671).
Der Wegfall der Solidarhaftung infolge Zahlungsunfähigkeit eines der beiden Ehegatten ist entsprechend zu beantragen und wird nicht von Amtes wegen berücksichtigt. An der Eröffnung einer Haftungsverfügung hat jedoch nur der zahlungsfähige Ehepartner ein schutzwürdiges Interesse, weshalb nur dieser antragsberechtigt ist (Rajower/Weber Rajower, Ehegatten- und Erbenhaftung im Recht der direkten Steuern, FStR 2009, 168 ff., 175).
An den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit sind hohe Anforderungen gestellt. So müssen die Steuerpflichtigen die Zahlungsunfähigkeit nicht nur glaubhaft machen, sondern beweisen, da im Rahmen einer allfälligen definitiven Rechtsöffnung auch die gesetzlich zugelassenen Einwendungen gemäss Artikel 81 Absatz 1 SchKG strikt bewiesen werden müssen (RBOG 2003 Nr. 16).
3. Verfahrensrechtliche Aspekte
Bei Wegfall der Solidarhaftung ist eine individuelle Haftungsquote festzusetzen. Diese wird in einem speziellen „Haftungsverfahren“ in Form einer anfechtbaren Haftungsverfügung rechtsverbindlich festgelegt (Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil, Art. 1-48 DBG, Basel 2019, Art. 13 N 14). Die Haftungsquote wird dabei nach der Nettoeinkommensmethode ermittelt (siehe Ziffer 4.1). Auf die Rechtskraft der zugrundeliegenden Veranlagung der Gesamtfaktoren kann nicht mehr zurückgekommen werden (Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil Art. 1-48 DBG, 2. Aufl., Basel 2019, Art. 13 N 17; Rajower/Weber Rajower, Ehegatten- und Erbenhaftung im Recht der direkten Steuern, FStR 2009, 168 ff., 179).
Für den Erlass der Haftungsverfügungen ist die Bezugsbehörde der Wohnsitzgemeinde des Ehepaares zuständig. Bei Steuerpflicht in mehreren Gemeinden gilt die Bezugsbehörde des Hauptsteuerdomizils für den Erlass der Haftungsverfügung als Leadgemeinde, welche die Koordination und inhaltliche Abstimmung mit den Nebensteuerdomizilen vorzunehmen hat. In Wegzugskonstellationen gilt die Zuzugsgemeinde als Leadgemeinde.
Was die Beweislast betrifft, ist es an den steuerpflichtigen Personen, ihre finanziellen Verhältnisse bzw. die Gründe für den Wegfall der Solidarhaftung zu beweisen (BGer 2C_142/2020, E. 2.4.1; siehe auch Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 4. Aufl., Zürich 2021, § 12 N 12).
Die Haftungsverfügung ist hinsichtlich ihrer Anfechtbarkeit den Schlussrechnungen gleichgestellt (vgl. StP 188a Nr. 1; Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 4. Aufl., Zürich 2021, § 178 N 3). Gegen die Haftungsverfügung kann demnach Einsprache beim Gemeindesteueramt, anschliessend Rekurs bei der Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau erhoben werden (§ 191a StG).
Die (rechtskräftige) Haftungsverfügung trägt gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung den Charakter eines (definitiven) Rechtsöffnungstitels (BGer 5D_117+118/2017, E. 2.1.2; BGer 5A_888/2018, E. 5; BGer 5D_169/2013, E. 3.2/4.2; siehe auch Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil Art. 1-48 DBG, 2. Aufl., Basel 2019, Art. 13 N 17).
4. Steuerteilung
4.1 Berechnungsweise
4.1.1 Einkommenssteuer
Der Wegfall der Solidarhaftung führt zu einer individuellen Haftungsquote der davon betroffenen Ehepartner. Das Steuergesetz enthält keinerlei Regelung, wie die Haftungsquote zu ermitteln ist. Diese wird auf Grundlage der um Gewinnungskosten bereinigten Nettoeinkommensmethode ermittelt. Dabei gelten folgende Grundüberlegungen:
Einkünfte werden den Ehepartnern individuell zugerechnet. Ebenso die damit zusammenhängenden Gewinnungskosten (Berufsauslagen etc.).
Vermögenserträge werden demjenigen Ehepartner zugewiesen, der das sachenrechtliche Eigentum innehat. Geht dieses nicht aus den Angaben zur Steuererklärung hervor, wird in analoger Anwendung von Art. 200 Absatz 2 ZGB von hälftigem Miteigentum der Ehepartner ausgegangen.
Ermittlungsfaktoren | Zuweisungsregel | |
+ | Erwerbseinkünfte | gemäss Lohnausweisen |
+ | Renteneinkünfte | gemäss Bescheinigungen |
+ | Ersatzeinkünfte | gemäss Bescheinigungen |
+ | Vermögenserträge | gemäss Wertschriftenverzeichnis, andernfalls hälftig |
+ | Erträge aus Grundeigentum | gemäss sachenrechtlichem Eigentum |
- | Berufsauslagen | individuelle Zuordnung |
- | Schuldzinsen | im Verhältnis der individuell zugewiesenen Vermögenserträgen |
= | Nettoeinkommen | individuelles Nettoeinkommen pro Ehepartner |
Die Haftungsquote ergibt sich gemäss folgender Berechnung:
Individuelles Nettoeinkommen pro Ehepartner x 100
Gesamtes Nettoeinkommen
4.1.2 Vermögenssteuer
Vermögenswerte werden gemäss sachenrechtlichem Eigentumsverhältnis individuell zugeordnet. Sind aus den Steuerakten dazu keine Angaben ersichtlich, wird von hälftigem Miteigentum ausgegangen.
Verbindlichkeiten werden nach Massgabe der Zuordnung des entsprechenden Vermögenswertes zugewiesen (z.B. Hypothek) oder im Zweifelsfall hälftig.
Die Haftungsquote ergibt sich gemäss folgender Berechnung:
Individuelles Nettovermögen pro Ehepartner x 100
Gesamtes Nettovermögen *
*Nettovermögen: Vermögenswerte - Verbindlichkeiten
4.2 Bereits geleistete Zahlungen
Bereits geleistete Zahlungen sind den Pflichtigen nach Aufhebung der solidarischen Haftung anteilsmässig im Verhältnis der in der Haftungsverfügung festgelegten Aufteilung der Gesamtsteuerschuld anzurechnen. Erfolgte die Zahlung nach der Ehetrennung, ist die Zahlung demjenigen zuzuordnen, der sie tatsächlich vorgenommen hat.
5. Verjährungsrechtliche Aspekte
Bezugshandlungen, welche nur gegenüber einem Ehegatten in ungetrennter Ehe erfolgt sind, wirken sich verjährungsunterbrechend im Sinn von § 153 Absatz 2 in Verbindung mit § 152 Absatz 3 Ziffer 1 StG auch gegenüber dem anderen, nicht involvierten Ehegatten aus (BGer 2C_58/2015, Erw. 6.2).
Dies gilt auch in Bezug auf Verlustscheine im Sinn von Artikel 149a SchKG (bzw. Art. 115 SchKG), welche nur auf einen Ehegatten lauten. Fällt damit die Solidarhaftung weg, gilt aber die gewöhnliche Verjährungsfrist von § 153 StG für den nicht auf dem Verlustschein aufgeführten Ehegatten (BGer 2C_58/2015, Erw. 6.2).