StP 194 Nr. 1 Erlass
1. Allgemeines
Liegen Verhältnisse vor, bei denen die Bezahlung der Steuer oder einer Steuerbusse für die steuerpflichtige Person unmöglich oder zur grossen Härte wird, kann ihr gemäss § 194 Absatz 1 StG auf schriftlich begründetes Gesuch hin ganz oder teilweise Erlass gewährt werden. Dabei folgt die Zinsforderung dem Schicksal der Hauptforderung.
§ 194 Absatz 1 StG ist eine „Kann“-Vorschrift. Ein Rechtsanspruch auf Erlass besteht daher nicht (BGE 2D_63/2008 vom 27.06.2008, 2D_106/2008 vom 13.10.2008). Die Beurteilung des Gesuchs erfolgt nach pflichtgemässem Ermessen.
2. Formelles
Das Gesuch darf nicht dazu dienen, die Bezugshandlungen zu verzögern. Die Bezugsbehörde tritt deshalb auf Gesuche, die nach Zustellung eines Zahlungsbefehls (Art. 38 Abs. 2 SchKG) eingereicht werden, nicht ein (§ 50 Abs. 4 StV). Bestehen nach Abschluss des Betreibungsverfahrens noch Ausstände (Verlustscheinforderungen), kann für diese gemäss Rechtsprechung der Steuerrekurskommission erneut ein Erlassgesuch gestellt werden.
Das Gesuch ist schriftlich bei der Bezugsbehörde einzureichen. Es muss einen Antrag und eine kurze Begründung enthalten (§ 10 VRG). Weil die steuerpflichtige Person eine Mitwirkungspflicht trifft, ist es ihre Sache, die Erlassvoraussetzungen nachzuweisen. Bei ungenügenden Gesuchen wird eine Nachfrist zur Verbesserung des Gesuchs angesetzt. Erfolgt innert Frist keine Nachbesserung und reichen die vorhandenen Akten nicht aus, um einen materiellen Entscheid zu fällen, wird auf das Gesuch nicht eingetreten (§ 12 Abs. 3 i.V.m. § 10 VRG).
Der zusammen mit dem Erlassgesuch einzureichende Fragebogen Steuererlass kann auf dem Gemeindesteueramt bezogen oder auf der Homepage der Steuerverwaltung Thurgau unter www.steuerverwaltung.tg.ch heruntergeladen werden.
Download Fragebogen Steuererlass
3. Zuständigkeit
3.1. Allgemeines
Über Erlassgesuche bis CHF 5'000 pro Steuerjahr entscheidet die Bezugsbehörde (vgl. Ziff. 3.2), in den übrigen Fällen entscheidet die Steuerverwaltung (§ 194 Abs. 3 StG). Über Erlassgesuche betreffend Erbschafts- und Schenkungssteuern entscheidet die Steuerverwaltung (§ 37 Abs. 1 ESchG).
Entscheide der Bezugsbehörde bzw. Steuerverwaltung können mit Rekurs bei der Steuerrekurskommission angefochten werden; deren Entscheide sind endgültig (§ 194 Abs. 4 StG i.V.m. § 37 Abs. 2 ESchG). Entscheide der kommunalen Bezugsbehörden können von der Steuerverwaltung bei der Steuerrekurskommission angefochten werden (§ 194 Abs. 5 StG).
3.2. Bezugsbehörden
Durch die politische Gemeinde bezogen werden (§ 32 Abs. 1 StV):
die Staats- und Gemeindesteuern natürlicher und juristischer Personen (inkl. der Minimalsteuer vom Grundeigentum);
die Quellensteuer.
Der Steuerverwaltung obliegt der Bezug:
der direkten Bundessteuer (Art. 160 DBG);
der Erbschafts- und Schenkungssteuer (§ 32 Abs. 1 ESchG);
der Quellensteuer auf Renten und Kapitalabfindungen (§ 32 Abs. 2 StV);
der Liegenschaftensteuer (§ 32 Abs. 2 StV);
der Grundstückgewinnsteuer (§ 32 Abs. 2 StV);
sämtlicher Bussen (§ 32 Abs. 2 StV).
Der Bezug der Handänderungssteuer erfolgt gemäss § 32 Absatz 3 StV durch das Grundbuchamt.
4. Voraussetzungen
4.1. Allgemeines
Ein Erlassgesuch kann nur für rechtskräftige, definitiv veranlagte Steuern bzw. Steuerbussen gestellt werden. Für provisorische Steuerrechnungen ist allenfalls eine Stundung möglich (vgl. StP 193 Nr. 1 Stundung oder Ratenzahlung).
Mangels zu erlassender Forderung kann für bereits bezahlte Steuern bzw. Steuerbussen grundsätzlich kein Erlass mehr gewährt werden. In Quellensteuerfällen bzw. Fällen, in denen die Zahlung unter Vorbehalt erfolgt ist, kann ein Erlass der Steuer bzw. Steuerbusse auch nach der Bezahlung noch gewährt werden.
Der Erlassbehörde ist es verwehrt, eine rechtskräftige Schlussrechnung auf ihre Gesetzmässigkeit und materielle Richtigkeit zu überprüfen und/oder durch (Teil-)Erlass Versäumnisse im Veranlagungsverfahren zu korrigieren. Insbesondere darf ein Erlass nicht zum Zwecke der Abänderung einer Einschätzung nach Ermessen gewährt werden.
Die Erlassbehörde hat nicht nach dem Zustandekommen der Veranlagung zu fragen; ob es sich dabei um eine ordentliche oder eine Ermessensveranlagung handelt, ist für die Beurteilung des Erlassgesuchs grundsätzlich nicht von Bedeutung. Massgebend ist einzig, ob die Erlassvoraussetzungen gegeben sind.
4.2. Härtefall
Ein Erlass kann dann gewährt werden, wenn die Bezahlung der Steuer bzw. einer Steuerbusse unmöglich oder zur grossen Härte wird (§ 194 Abs. 1 StG). Gemäss § 194 Abs. 2 StG gelten als Erlassgründe insbesondere Erwerbsunfähigkeit, andauernde Krankheit, Unglücksfälle oder Unterstützungsbedürftigkeit.
Die genannten Erlassgründe sind nicht abschliessend. Massgebend ist einzig, ob ein Grund besteht, der dazu führt, dass die Bezahlung der Steuer bzw. einer Steuerbusse für die steuerpflichtige Person eine grosse Härte bedeuten würde. Ein Härtefall liegt gemäss § 50b StV vor, wenn der ganze geschuldete Betrag in einem Missverhältnis zur finanziellen Leistungsfähigkeit der steuerpflichtigen Person steht. Bei natürlichen Personen ist ein Missverhältnis insbesondere dann gegeben, wenn die Steuerschuld trotz Einschränkung der Lebenshaltungskosten auf das Existenzminimum in absehbarer Zeit nicht vollumfänglich beglichen werden kann.
Für die Bezahlung des geschuldeten Betrags ist ein Eingriff in die Vermögenssubstanz grundsätzlich zumutbar (§ 50b StV).
Bei kurzfristigen Einkommensschwankungen, welchen bei der ordentlichen Veranlagung Rechnung getragen wird, kommt kein Erlass, sondern allenfalls eine Stundung in Betracht.
Die Erlassbehörde berücksichtigt bei ihrem Entscheid die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der steuerpflichtigen Person. Massgebend ist dabei in erster Linie die Situation im Zeitpunkt des Entscheides, daneben auch die Entwicklung seit der Veranlagung, auf die sich das Erlassgesuch bezieht, sowie die Aussichten für die Zukunft (§ 50a Abs. 2 StV). Wäre der steuerpflichtigen Person zum Zeitpunkt der Fälligkeit die fristgerechte Bezahlung möglich gewesen, wird dies im Erlassentscheid berücksichtigt.
Die Bezugsbehörde prüft gemäss § 50a Abs. 3 StV insbesondere, ob für die steuerpflichtige Person Einschränkungen in der Lebenshaltung geboten und zumutbar sind oder gewesen wären. Einschränkungen gelten grundsätzlich als zumutbar, wenn die Auslagen die sich nach den Ansätzen für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums ergebenden Lebenshaltungskosten übersteigen.
4.3. Ursachen / Grundsatz der Opfersymmetrie
Bei der Beurteilung, ob ein Steuererlass ganz oder teilweise zu gewähren ist, wird nicht nur geprüft, ob ein Härtefall vorliegt, sondern es werden auch die Ursachen, die dazu geführt haben, einer Prüfung unterzogen.
Eine den Erlass rechtfertigende Ursache liegt gemäss § 50b Absatz 2 StV dann vor, wenn die Überschuldung auf ausserordentliche Umstände (insbesondere Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, hohe, nicht von Dritten gedeckte Krankheits- oder Pflegekosten) zurückzuführen ist, die in den persönlichen Verhältnissen begründet und nicht von der steuerpflichtigen Person verschuldet sind.
Hat die steuerpflichtige Person die Überschuldung hingegen verschuldet, beispielsweise durch Bürgschaftsverpflichtungen, Schulden infolge eines überhöhten Lebensstandards oder die Verletzung ihrer steuerlichen Mitwirkungspflichten, kann ein Erlass nur dann gewährt werden, wenn auch die übrigen Gläubiger, deren Forderungen ebenfalls der 3. Klasse gemäss Artikel 219 Absatz 4 SchKG angehören, im gleichen prozentualen Umfang auf ihre Forderungen verzichten (§ 50b Abs. 3 StV).
Schliesslich hat der Steuererlass gemäss § 50a Absatz 1 StV bestimmungsgemäss der steuerpflichtigen Person und nicht ihren Gläubigern zugute zu kommen. Dieser als Opfersymmetrie bezeichnete Grundsatz gilt gemäss § 50b Absatz 3 StV in Bezug auf gleichrangige Gläubigerforderungen.
Sind zudem privilegierte Forderungen der 1. und 2. Klasse gemäss Artikel 219 Absatz 4 SchKG betroffen (z.B. Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der sozialen Krankenversicherungen, Beitragsforderungen der AHV/IV/UV/ALV, MWSt), kann ein Erlass auch dann gewährt werden, wenn diese Gläubiger keinen Erlass gewähren. Der Fiskus als Gläubiger wird dadurch nicht schlechter gestellt, da er ohnehin hinter den privilegierten Gläubigern zurückzustehen hätte.
4.4. Gesamtschuldensanierung
Im Steuer- bzw. Bussenbezug wird im Falle einer Gesamtschuldensanierung einem gerichtlichen Nachlassvertrag (Art. 293 ff. SchKG) in der Regel ohne weiteres zugestimmt.
Ein aussergerichtlicher Nachlassvertrag, bei dem es sich um eine Anzahl von Schulderlassverträgen handelt, deren Inhalt nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit bestimmt werden kann, wird mit grösserer Zurückhaltung akzeptiert. Es gelten die allgemeinen Erlassvoraussetzungen (vgl. Ziff. 4.1 bis 4.3.).
Hat die steuerpflichtige Person die Überschuldung selbst verschuldet, kann einem aussergerichtlichen Nachlassvertrag daher nur zugestimmt werden, wenn auch die übrigen, gleichrangigen Gläubiger (Art. 219 Abs. 4 SchKG) bereit sind, im gleichen prozentualen Umfang auf ihre Forderungen zu verzichten (Grundsatz der Opfersymmetrie). In diesem Fall hat der Gesuchsteller seinem Gesuch die unterschriftlich bestätigten Absichts- bzw. Verzichtserklärungen der übrigen, gleichrangigen Gläubiger beizulegen.
5. Spezielle Ausführungen zu einzelnen Steuern bzw. Steuerbussen
Besonderheiten zum Erlass von Grundstückgewinnsteuern, Handänderungssteuern, Liegenschaftensteuern, Quellensteuern, Nachsteuern, Steuerbussen, Erbschafts- bzw. Schenkungssteuern sowie zum Erlass zu Gunsten von juristischen Personen sind in der Steuerpraxis unter StP 194 Nr. 2 Erlass: Spezielle Ausführungen zu den einzelnen Steuern bzw. Steuerbussen beschrieben.